Donnerstag, 27. August 2009

Willensnation als Sezession?



Haus der Sezession in Wien

Dieser Blog figuriert auf Platz zwei der „google-Suche“ nach dem Begriff „Willensnation“, gleich nach dem Wikipedia-Lemma. Auf den Fersen folgt uns die „blogwiese“, der Blog des „Berufsschweizers“ Jens Wiese vor dem Blog einer Zürcher „Public Affair“-Agentur. Diese prominente Stellung, die ich mir nicht abschliessend erklären kann (vielleicht hat einer der Leser eine Idee, wie so etwas zu Stande kommen kann?), will ich nutzen. Schon vor dem Buch von alt Bundesrat Kaspar Villiger „Eine Willensnation muss wollen“, war dieser Blog unter den ersten zehn. Durch die Buchpublikation des Bundesrates wurde er temporär wieder nach hinten gespült, um dann wie ein Korkzapfen wieder auf Platz zwei zu schnellen.

Ansporn. Diese Position spornt mich an, den Blog zu öffnen für relevante Texte anderer Autorinnen oder Autoren, die nirgends sonst im Netz publiziert sind, oder in diesem Kontext eine zusätzliche „Sichtbarkeit“ erhalten können. Dabei will ich aber den thematischen Schwerpunkten, die ich für diesen Blog definierte, treu bleiben.

Forscher (Studierende der Geschichte, Sprachwissenschaften, Rechtsgeschichte etc.), Autoren, Journalisten und Blogger, die Texte haben, die sie hier einstellen oder verlinken möchten, können solche mir gerne anzeigen. Massgebend bleibt der oben zitierte thematische und historische Fokus. Zweitens sind mir alle Texte willkommen, die „unzeitgemäss“ sind, das heisst ausserhalb des publizistischen „mainstreams“ liegen, der sich leider auch in der Blogosphäre durchzusetzen scheint. Ein hohes Ziele wäre es, diesen Blog zum Hort jener „Sezession“ zu machen, die das liberale Urgestein Max Frenkel kürzlich in der „Weltwoche“ anmahnte und ich möchte hier die als erster Post eingefügte Predigt Jeremias Gotthelfs aus seinem letzten Roman „Zeitgeist und Berner Geist“ wieder in Erinnerung rufen.

Weiterhin soll der Blog auch das Archiv meiner einschlägigen journalistischen Arbeiten sein.
Ausgearbeitete Texte können an

willensnation(at)uerte.ch

gesandt werden.

Mittwoch, 26. August 2009

Langentahl, "Das Rütli des 19.Jahrhunderts": und 2009?

Mythos. Einen Sommer lang verfolgten wir das Reduit-Leben als „Getrennte Liebe - gemeinsamer Kampf“. In dieser Woche werden nun 8000 AdAs im Rahmen der Übung „Protector“ in die besonders armeekritische Nordwestschweiz einfallen. Und nun am vergangenen Freitag dieser Langenthaler Gedenkanlass: ein neuer Mythos, aus dem die von Sparmassnahmen zusammenkartätschte, NATO-taugliche „Armada Svizra XXI“ wie ein Phönix zum alten Massenheer erstehen soll? Anno 1822 versammelten sich die Offiziere der Kantonalkontingente in Langenthal um die „eidsgenössische Waffenbrüderschaft“ zu stärken, damit nie wieder die Katastrophe von 1798 über sie hereinbrechen möge. Aus dem Langenthaler Offiziersfest, einem eidgenössischen „botellon“ und „neuen Rütli“, wuchs jener radikal-liberale Geist, der über das eidgenössische Schützenfest von 1824, die Regeneration der 1830er Jahre und den Sonderbundskrieg 1847 zum Bundesstaat 1848 führte: dem Sonderfall.

Standortmarketing. Spiritus rector des Anlasses war FDP-Nationalrat, Oberst aD eines Geb Inf Reg und Patron der Langenthaler Ammann-Gruppe, Johann-Niklaus Schneider-Ammann. Der Bankenplatz (swissbanking) und der Schweizerische Gewerbeverband unterstützten den Anlass ebenso, wie die Schweizerische Offiziersgesellschaft, SBB und das VBS. Im „Sicherheitspolititschen Forum“ im vollbesetzten Stadttheater erntete Pius Segmüller (NR CVP, Lu), ehemaliger Kommandant der Schweizergarde, einigen Szenenapplaus, Barbara Häring (SP) erklärte ihren Stolz über „jedeN Schweizer SoldatIn im Ausland“ und plädierte für die Waffe im Zeughaus (kurzer Applausversuch). Das emotional-pathetische Bekenntnis des Verwaltungsratspräsidenten der „Swiss Life“, Oberst Rolf Dörig zum Milizwesen, konnte dieser kaum mit signifikantem Zahlenmaterial zu AdAs - geschweige denn Milizkadern - im Zürcher Finanzkonzern untermauern. Da war der schlohweisse Nidwaldner Nationalrat Edi Engelberger als Gewerbepräsident mit seinem Pathos für die Armee als „Führungsakademie der KMUs“ glaubwürdiger: er verzichtete wohlweislich auf Zahlenspiele.

Vorderladersalve. Auf dem Marktplatz wurden dann 5000 Münder zur Speisung mit dem eigens für den Anlass kreierten „Langenthaler Armeetopf“ erwartet. Die Stadtmusik Langenthal spielte den „Berner Marsch“. Nach einer Vorderladersalve sprach Bundesrat Maurer. Er wandte sich an das „heimliche Rückgrat“ der Armee: Die Frauen. Der sechsfache Vater gestand, dass er gerne die Armee verdoppelte und noch „acht Radfahrerbataillone dazu“ schüfe (Gelächter), aber die Demografie - mehr noch als der Spardruck und Expertenberichte - binde ihm die Hände. Bundesrat Maurer zog den Bestseller des libanesischen Finanzmathematikers Nassim Nicholas Taleb „Der schwarze Schwan“ heran, um dem Publikum zu erläutern, was die „beste Armee der Welt“ leisten müsse: eine glaubwürdige Antwort auch auf „höchst unwahrscheinliche Ereignisse“. Wäre Maurer ein Rockstar, er hätte eine Zugabe geben müssen. Als eidgenössischer Bundesrat, erwartet er wohl nach dem Applaus Taten. Dass solche folgen, erachten die Blätter der Zürcher Tamedia als „höchst unwahrscheinliches Ereignis“. 2'500 Münder (so die Veranstalter) beugten sich über den „Langenthaler Militärtopf“. 1822 sollen 7'000 Menschen am vaterländischen botellon gewesen sein. In die Asche des Milizwesens wurde heftig gepustet: Ob die „eidsgenössische Waffenbrüderschaft“ noch vor dem nächsten „schwarzen Schwan“ wiederersteht? Immerhin glänzt eine Messingtafel mehr im Vaterland. Wie endete der Feldprediger? „Amen. Nationalhymne!“

Ungekürzte Fassung des Artikels "Langenthaler Armeetopf für Ueli Maurer". Erschienen am 24. August 2009 in der "Basler Zeitung" S. 3.